Rot gegen Blau in Oberösterreich
Rot gegen Blau in Oberösterreich
Die Wahlen sind
geschlagen und Linz hat seit Ende Jänner 2025 mit Dietmar Prammer neuerlich
einen sozialdemokratischen Bürgermeister. Erstmals war der SP-Kandidat jedoch
in der Stichwahl mit einem freiheitlichen Herausforderer konfrontiert. Ein
guter Anlass, den Werdegang der beiden Parteien in Oberösterreich zu beleuchten.
Die Sozialdemokratie
hat ihren räumlichen Schwerpunkt in den Ballungszentren, konkret im
oberösterreichischen Zentralraum, wo sie traditionell stärker vertreten ist als
in den übrigen Regionen. Dass das Wahlverhalten in der Stadt
anders ist als auf dem Land, kann zum einen auf die jeweils unterschiedliche Wirtschafts-
und Sozialstruktur, agrarisch versus industriell, zurückgeführt werden, zum
anderen – damit zusammenhängend - auf Differenzen im Lebensstil: traditionell- katholische
versus moderne, weltliche Lebensweise. Paradigmatisch hierfür können im
nationalen Kontext einerseits das „Rote Wien“, andererseits das „Heilige Land
Tirol“ angeführt werden. Diese Unterschiede führten in der Ersten Republik bekanntlich
bis zum Bürgerkrieg, die entsprechenden Cleavages blieben aber auch in der
Nachkriegszeit bestehen und haben sich erst langsam abgeschwächt. Die
Stadtumlandwanderung in den so genannten „Speckgürtel“ rund um die urbanen
Zentren lässt zudem die Grenzen zwischen Stadt und Land zunehmend verschwimmen.
Die Sozialdemokratie
hat ihre traditionelle Basis in der Industriearbeiterschaft, in Oberösterreich
in den Statutarstädten Linz, Wels und Steyr, weiters in den Industriegebieten
im Vöckla-Ager-Raum und im Raum Braunau-Mattighofen. Die ÖVP war da immer
schwach und im Wesentlichen auf das städtische Bürgertum (Kaufleute, Beamte)
beschränkt, die FPÖ detto (s.u.). Dies hat sich zuletzt etwas relativiert, da
ArbeiterInnen zunehmend die Freiheitlichen wählen, außerdem durch den Rückgang
des Arbeiteranteils an der Bevölkerung in der „Dienstleistungs- bzw. Wissensgesellschaft“.
Außer in den Industriezonen
war die SPÖ am Land nur in den alpinen Regionen im Süden des Bundeslandes stark.
Dafür können mehrere Gründe genannt werden: zunächst die aufmüpfige protestantische
Tradition gegen den im Habsburgerreich dominierenden politischen Katholizismus,
auch waren die Bergbauern als so genannte „Hörndlbauern“ stets ärmer als die in
agrarischen Gunstlagen beheimateten „Körndlbauern“ im Flachland. Im Salzkammergut
und im Hausruck spielte der Bergbau eine prägende Rolle, und in der
Pyhrn-Eisenwurzen-Region gab es eine Protoindustrialisierung in Form der
Eisenverarbeitung in den Hammer- und Sensenwerken, die sich dann in den
Besteck- und Fahrzeugfabriken fortsetzte.
Der Aufstieg der
Freiheitlichen Partei
Die FPÖ mit ihrer Vorläuferorganisation,
dem VdU (Verband der Unabhängigen), war nach dem Zweiten Weltkrieg das
politische Auffangbecken des so genannten „Dritten Lagers“. Darin sammelten sich
ehemalige Nationalsozialisten und Großdeutsche. Diese sehen sich selbst in der Tradition
der bürgerlichen Revolution von 1848, welche im deutschen Sprachraum u.a. die im
Gefolge der Napoleonischen Kriege entstandenen Burschenschaften beflügelte, die
sich zunächst als national und demokratisch definierten, ab dem späten 19. Jahrhundert
allerdings zunehmend antisemitisch und chauvinistisch agierten.
Parteien dieses
Lagers waren nach 1945 – aus nachvollziehbaren Gründen - zunächst verboten. Bei
den Gemeinderatswahlen 1949 gab es ein erstes Aufflackern des damaligen VdU, der
durchwegs zweistellige Ergebnisse einfahren konnte, in Linz wie in Wels sogar an
die 30 Prozent. Man sieht, das nationale Lager war zu dieser Zeit noch
hinreichend groß, auch dürfte die schlechte wirtschaftliche Lage nach dem Krieg
– der Marshallplan war erst im Anlaufen - das ihre zu den Wahlergebnissen
beigetragen haben. Interne Streitigkeiten führten zur Auflösung des VdU und in
der Folge zur Gründung der FPÖ, deren Wahlergebnisse bewegten sich von 1967 bis
1985 in beiden Städten wie auch landesweit im einstelligen Bereich. Der
wirtschaftliche Aufschwung war in der breiten Bevölkerung angekommen und von
einer entsprechenden optimistischen Stimmung begleitet. Man sah offenbar wenig
Anlass zum Protest.
Der neuerliche Aufstieg
der FPÖ begann in den 1980er Jahren mit Jörg Haider. Die FPÖ war bis dahin eher
eine traditionelle Honoratiorenpartei, die sich in der Elitenrekrutierung auf
die erwähnten deutschnationalen Burschenschaften stützte und primär von
Akademikern, Angehörigen freier Berufe sowie von deutschsprachigen Vertriebenen
aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie gewählt wurde. Haider gelang es,
die FPÖ in eine rechtspopulistische Bewegung umzubauen, indem er das nationale Moment
mit dem sozialen verband. Er nahm damit eine Vorreiterrolle in Europa ein. Begünstigt
wurde sein Aufstieg durch das Machtkartell der (damals noch) Großen Koalition
von ÖVP und SPÖ, die von 1986 bis 1999 regierte.
Gleichzeitig verlor
die Sozialdemokratie eine wesentliche Machtbasis mit dem Niedergang der verstaatlichten
und staatsnahen Industrie. Dies verspürte man in Oberösterreich hauptsächlich
in Linz und in Steyr, wo diese ansässig war. Das sozialdemokratische Versprechen
– ein gutbezahlter Job und eine günstige Wohnung für die Beschäftigten –
war brüchig geworden. Der 1995 erfolgte EU-Beitritt Österreichs erforderte
zudem eine Budgetkonsolidierung, die mittels zweier Sparpakete umgesetzt wurde,
nicht unbedingt zur Freude der davon betroffenen Bevölkerung.
Infolge des Niedergangs
des realen Sozialismus um 1990 hatte auch ein ideologischer Wandel eingesetzt:
Alles, was mit Staat zu tun hatte, war out, Marktwirtschaft war in. Dem neuen
Zeitgeist konnte sich kaum jemand verschließen, auch wenn soziale Verwerfungen
auf den Fuß folgten, etwa ein Anstieg der Verschuldungs- und Armutsquoten. Das
gemeinsame Feindbild bildeten aber nicht mehr die Unternehmer bzw. das Kapital,
sondern alles, was von außen kam: Migranten, die Globalisierung, die EU.
Lokale
Entwicklungen in Linz und Wels
Wels hatte nach dem
zweiten Weltkrieg einen großen Zuzug von Heimatvertriebenen zu verzeichnen, die
ursprünglich in Auffanglagern untergebracht waren und sich in der Folge dort
ansiedelten. Insofern gab es hier ein Wählerpotenzial für die FP, das diese
auch nutzte. Deren Wähleranteil war immer eine Spur höher als in Linz, deutliche
Unterschiede zwischen den beiden Städten lassen sich aber erst ab 2009 erkennen.
In Linz ist seither - ähnlich wie in anderen Großstädten - ein stärkerer Trend
zu den Grünen feststellbar.
Bezogen auf die Gemeinderatswahlen
ist sowohl in Linz wie in Wels ein steiler Anstieg des freiheitlichen
Stimmenanteils von 1985 auf 1991 erkennbar, das waren die Jahre des Haider-Aufstiegs.
Einen Einbruch gab es jeweils 2003 – damals kam es zum Bruch der ersten schwarz-blauen
Koalition auf Bundesebene -, ansonsten ist die FPÖ in beiden Städten seither
immer zweistellig.
Bei den Gemeinderatswahlen 2015 erfolgte nochmals ein deutlicher Aufstieg der FPÖ bei gleichzeitigem Rückgang der SPÖ-Stimmen; in Wels etwa um knapp 9 Prozentpunkte, während die Freiheitlichen um ca. 14 Prozentpunkte zulegten. Dies könnte an Skandalen liegen, die sich im Umfeld der SPÖ abspielten und dieser offenbar zugerechnet wurden - Stichworte: Welios in Wels; BAWAG / SWAP in Linz. In der Landeshauptstadt hat man sich davon wieder erholt, so konnte ein Vergleich mit der BAWAG abgeschlossen werden, in Wels hingegen nicht, hier ging der Bürgermeistersessel an die Freiheitlichen verloren. Möglicherweise war auch die Flüchtlings- bzw. Migrationskrise in diesem Jahr ausschlaggebend. Ein Lieblingssujet für die FPÖ, mit dem sie eine gewisse Resonanz in der Bevölkerung findet. 2021 schließlich kam es in Linz zu einem Rückgang der FPÖ-Stimmen, in Wels hingegen zu einem weiteren Anstieg, vermutlich lukriert durch den so genannten „Bürgermeisterbonus“, d.h. der erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl des jeweiligen Amtsträgers, so er sich nichts zuschulden kommen hat lassen.
Sieht man sich die
FPÖ-Ergebnisse insgesamt an, so fanden die Aufschwünge 1949 (VdU), 1991 und
2015 statt, in Jahren, in denen sich die Freiheitlichen in Opposition zur „Großen
Koalition“ von SPÖ und ÖVP befanden. Die Abschwünge in der Wählergunst 1985 und
2003 betrafen eine FPÖ, die sich jeweils in einer Regierungskoalition befand,
einmal mit den Sozialdemokraten, einmal mit der Volkspartei.
Daraus lässt sich
schließen, dass der Bundestrend im Allgemeinen auf die lokalen Ergebnisse durchschlägt.
Wie stark, hängt von den Verhältnissen vor Ort ab. Durch bestimmte Ereignisse ("Skandale") oder bestimmende
Persönlichkeiten kann der Trend abgemildert oder verschärft werden. Zudem liegt
der Schluss nahe, dass die FPÖ als Opposition und damit als Protestpartei
erfolgreicher ist als in der Regierungsrolle. In der Regel lässt sich da nicht
alles einlösen, was man zuvor versprochen hat und die Enttäuschung der
WählerInnen folgt auf den Fuß.
Wie weiter?
Inwieweit sich
dieser Trend extrapolieren lässt, ist jedoch ungewiss. Zuletzt haben wir mehrere
Krisen durchlaufen (Coronakrise, Inflation). Dieser Umstand hilft der FPÖ als
rabiater Oppositionspartei; weniger, wenn sie in Regierungsverantwortung
Probleme wie das aktuelle Budgetdefizit bewältigen muss. Für die
These, dass sich eine rechtspopulistische Partei in Regierungsverantwortung
nicht halten kann, finden sich aber auch Gegenbeispiele: auf lokaler Ebene in
Wels (s.o.) wie auch international, z.B. in Ungarn (wo das Wahlsystem
allerdings zugunsten der Regierenden geändert wurde). Auch eine Rückkehr an die
Macht nach einer Abwahl ist keineswegs ausgeschlossen, wie die jüngsten Präsidentenwahlen
in den USA gezeigt haben.
Welche Strategie
die anderen Parteien wählen sollen, um dem Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen,
ist Gegenstand hitziger Debatten sowohl in der einschlägigen Fachliteratur wie
in den Medien. Eine Diabolisierung des Rechtspopulismus bringt m.E. nichts,
besser ist eine argumentative Auseinandersetzung mit dessen VertreterInnen, auch
wenn’s schwerfällt. Deren Positionen sind ja oft widersprüchlich: z.B. spricht
man sich für die freie Marktwirtschaft aus, ist aber gegen die Globalisierung,
die ein Resultat genau dieser Form des Wirtschaftens ist. Weiters tritt die FPÖ
zwar als Arbeitnehmerpartei auf, stimmt aber auf EU-Ebene regelmäßig gegen
arbeitnehmerfreundliche Regulierungen und in Österreich für den 12-Stunden-Arbeitstag.
Auf dergleichen könnte man in Zukunft verstärkt hinweisen.
© Hansjörg
Seckauer 2025
Ich danke
Radio FRO für die Gelegenheit zur Stellungnahme und damit für die Anregung zur vertieften
Auseinandersetzung mit diesem Thema. Link:
https://www.fro.at/
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